Übung Korpuslinguistik: AnwendungenKorpuslinguistische Diskursanalyse
Natürlich gibt es nicht
die korpuslinguistische Methode, die eine Diskursanalyse automatisch erledigt. Eher könnte man von verschiedenen Methoden reden, die eine computerunterstützte Diskursanalyse ermöglichen.
Das beginnt ganz trivial mit der elektronischen Verarbeitung von Text. Datenbanksysteme ermöglichen das Management von grossen Mengen von Text, die man normalerweise bei einer Diskursanalyse zu bewältigen hat. Weiter kann man aber natürlich korpus- und computerlinguistische Methoden bemühen, um diese Textmengen zu verarbeiten.
Gedanken und Beispiele dazu findet man z.B. in folgenden Schriften; die Liste ist keineswegs umfassend und abschliessend:
- Gee, James Paul: An Introduction to Discourse Analysis. Routledge, New York, London, 2005. (2nd Edition)
- Hirseland, Andreas/Keller, Reiner/Schneider, Werner/Viehöver, Willy (Hrsg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden. Lekse + Budrich, Opladen, 2001.
- Mautner, Gerlinde: Time to get wired: Using web-based corpora in
critical discourse analysis. Discourse & Society. Nr. 16. SAGE
Publications, London, 2005.
- Sinclair, John: Trust the text. Language, corpus and discourse. Routledge, London, 2004.
Nun jedoch einige Ideen und Methoden, die zu einer computerunterstützten Diskursanalyse führen könnten:
Wortgebrauchsentwicklung
Ein Korpus, das Texte verschiedener Zeiträume enthält, kann auf Wortgebrauchsentwicklungen hin analysiert werden. Wo das z.B. sehr gut funktioniert ist im Web. Suchmaschinen indizieren in regelmässigen Abständen das Web und datieren die gefundenen Seiten. Man kann nun den diachronen Wortgebrauch nachzeichnen.
Völlig automatisch funktioniert "
Le Chronologue" des Linguisten
Jean Véronis (Aix-en-Provence), mit dem man die Verwendung von bis zu fünf Begriffen gleichzeitig auf französischen Webseiten im diachronen Verlauf grafisch anzeigen lassen kann.
Die Suche nach "grippe aviaire" (Vogelgrippe) und "banlieues" (Vororte französischer Städte; Indikator für die Berichterstattung über die Unruhen daselbst im Herbst 2005) zeigt, wie diese beiden Themen sich gegenseitig ablösen.Noch einfacher ist es, wenn man sich sog. "Weblogs"/"Blogs" (
Wikipedia) als Basis für ein Korpus nimmt, um den Diskurs in der "Blogosphäre" zu einem bestimmten Thema zu charakterisieren. Die Blog-Einträge sind klar einem Datum zugeordnet und Blog-Suchplattformen wie
Technorati bieten die grafische Darstellung der Nennung eines Suchbegriffs in einer bestimmten Zeitperiode in Blogs bereits standardmässig an.
Die Suche nach "Vogelgrippe" in Technorati ergibt am 25. Januar 2006 dieses Bild.Doch auch das IDS-Korpus erlaubt natürlich Abfragen dieser Art. Vgl. dazu die entsprechenden Kapitel in diesem Kurs.
Kollokationen/Kookkurrenzen
Es kann erhellend sein, einen Diskurs durch seine typischen Kollokationen/Kookkurrenzen zu fassen und deren Veränderungen nachzuzeichnen. So findet man in Presseartikeln, die das Wort "Terror" enthalten, je nach Zeitraum unterschiedliche Kookkurrenzen. Die folgende Tabelle zeigt die für drei Zeiträume typischen Wortgruppen, absteigend geordnet nach Frequenz:
NZZ September 2000
| NZZ September 2001
| NZZ September 2004
|
im Kampf gegen den Terrorismus
gegen den Terrorismus
des internationalen Terrorismus
der baskischen Terrororganisation ETA
den internationalen Terrorismus
Bekämpfung des Terrorismus
Terror der ETA
gegen den Terror der
Kampf gegen den Terrorismus
den Terror der
gegen den Terror
Terrorismus der ETA
gegen den Terrorismus der
der baskischen Terroristenorganisation ETA
die baskische Terrororganisation ETA
Terroristen in der
des Terrors und
gegen Terrorismus und
den Terrorismus der | gegen den Terrorismus
nach den Terroranschlägen in den USA
nach den Terroranschlägen
Kampf gegen den Terrorismus
der Terroranschläge in den USA
im Kampf gegen den Terrorismus
die Terroranschläge in den USA
Terroranschläge in New York und Washington
gegen den Terror
den Terroranschlägen in den USA
den Terroranschlägen in New York und
Terroranschlägen in New York und Washington
zur Bekämpfung des Terrorismus
gegen den internationalen Terrorismus
des internationalen Terrorismus
der Terroranschläge in
Koalition gegen den Terrorismus
Nach den Terroranschlägen
vor den Terroranschlägen
auf die Terroranschläge
durch die Terroranschläge
die Terroranschläge in
als Folge der Terroranschläge
gegen den Terrorismus zu
für die Terroranschläge
seit den Terroranschlägen
den Terroranschlägen vom 11 September
Kampf gegen den internationalen Terrorismus
Terroranschläge in den Vereinigten Staaten
Die Terroranschläge in den USA [...] Krieg gegen den Terrorismus
| gegen den Terrorismus gegen den Terror im Kampf gegen den Terrorismus Krieg gegen den Terrorismus Kampf gegen den Terrorismus nach den Terroranschlägen des internationalen Terrorismus gegen den internationalen Terrorismus Kampf gegen den Terror Terroranschläge von Madrid den Terroranschlägen von Madrid den Terroranschlägen in Madrid den Terroranschlägen vom September 2001 zur Bekämpfung des Terrorismus die baskische Terrororganisation ETA im Kampf gegen den Terror zu den Terroranschlägen die Terroranschläge in Madrid der Bekämpfung des Terrorismus im Kampf gegen den internationalen Terrorismus Bekämpfung des Terrorismus seit den Terroranschlägen bei der Terrorbekämpfung Terrorschlag von Madrid der Terroranschläge vom 11 der Terroranschläge in Madrid den internationalen Terrorismus Topographie des Terrors den Terrorismus und gegen Terrorismus und
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Einiges ist hier ersichtlich über den Wortgebrauch von "Terror". Doch wird auch mehr sichtbar: Mit dem 11. September 2001 findet sich eine neue Denkfigur darüber, wie man Terrorismus bekämpfen soll: Nämlich mit "Krieg". Die Wortgruppe "Krieg gegen den Terrorismus" findet sich im untersuchten Zeitraum im Jahr 2000 in keinem NZZ-Artikel. 2001 tritt die Formel niedrigfrequent auf. 2004 kann man sie im untersuchten Korpus als etabliert bezeichnen.
Weitere Schritte
Man kann es nicht genug betonen: Solche Analysen können nur Teilschritte einer Diskursanalyse sein. Doch z.B. in Verbindung mit Wissen über die sprachlichen Indikatoren für Argumentationsmuster (
wie im letzten Kapitel gezeigt), kann man sich ein Methodenmix aufbauen, der eine Diskursanalyse unterstützt.
Das Copyright dieses Kurses liegt bei Noah Bubenhofer. Bei Zitaten oder Verweisen darauf, freut der Autor sich über
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Diese elektronische Ressource soll wie folgt zitiert werden:
Bubenhofer, Noah (2006-2024): Einführung in die Korpuslinguistik: Praktische Grundlagen und Werkzeuge. Elektronische Ressource: http://www.bubenhofer.com/korpuslinguistik/.