Jetzt, da die Bundespräsidentschaft von Christian Wulff zu Ende ist, möchte ich ein paar weitere Ergebnisse der Analysen dieser Affäre präsentieren. Das Thema heute: Floskeln.
Mit einem datengeleiteten Verfahren können die typischen Sprachgebrauchmuster herausgearbeitet werden: Welche sprachlichen Muster sind typisch für den Wulff-Skandal? Als „sprachliches Muster“ fassen wir hier Kombinationen von Wörtern und Wortarten, also z.B.:
in/APPR PPOSAT NN als/KOKOM
- in seiner Zeit als
- in seine Rolle als
- in ihrer Laufbahn als
- …
Beispielsweise ist das Muster „in“ als Präposition (APPR), gefolgt von einem beliebigen Possesivpronomen (PPOSAT), einem Nomen (NN) und „als“ als Konjunktion hoch signifikant für Pressetexte von Bild.de und der Süddeutschen.de in der Zeit der Skandalberichterstattung. Da das Muster etwas abstrakt wirkt, sind darunter noch sprachliche Realisierungen des Muster genannt: „in seiner Zeit als“, „in seiner Rolle als“ etc. Davon gibt es natürlich noch einige mehr.
Die folgenden Muster bezeichnen den Skandalgegenstand:
der/ART Kredit-/TRUNC und NN
- der Kredit- und Urlaubsaffäre
- der Kredit- und Medienaffäre
- der Kredit- und Medien-Affäre
500/CARD 000/CARD NN
- 500 000 Euro
NN bei/APPR NN NN
- Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai
- Drohanruf bei Bild-Chefredakteuer Kai
- Bundespräsidenten bei Bild-Chefredakteur Kai
- Mailbox-Nachricht bei Bild-Chefredakteur Kai
Wichtig sind Muster, die im Zusammenhang mit dem Enthüllen und Aufarbeiten entstehen:
ADJA NN zu/APPR PPOSAT
- kritischen Fragen zu seinem
- engen Bezug zu seinem
- Nähere Details zu meiner
ADJA NN ans/APPRART NN
- letzten Tagen ans Licht
- weitere Details ans Tageslicht
Die folgenden Muster sind Sprechakte des Entschuldigens und Rechtfertigens:
dass/KOUS ADV ein/ART ADJA
- dass hier ein falscher [Eindruck entstehen konnte]
VAFIN PPER VVINF VMINF
- hätte ich sagen sollen
- hätte ich vermeiden können
Das/PDS VMFIN man/PIS VVINF
- Das kann man schlucken
- Das muss man verantworten
- Das kann man erklären
Viele weitere Muster stehen für andere Aspekte der Skandalisierung. Interessant ist jedoch der Zusammenhang von Muster und Anzahl (unterschiedlichen) Realisierungen des Musters. Das Muster dass/KOUS ADV ein/ART ADJA beispielsweise weist nur sehr wenige unterschiedliche Realisierungen auf. Das Verhältnis von Muster (Type) zu Realisierung (Token) ist 33 : 100. Das Muster ADJA NN zu/APPR PPOSAT hingegen weist ein Verhältnis von 7.7 : 100 auf, ist also viel produktiver, führt also zu viel mehr unterschiedlichen Realisierungen.
Gemittelt über alle Muster in den Skandaltexten im Vergleich zu einem Referenzkorpus aus Wulff’schen Nicht-Skandaltexten und Texten zu Angela Merkel im gleichen Zeitraum und der gleichen Zeitungen zeigt nun das folgende Bild:
Im Skandalkorpus liegt der Median aller Muster bei einem Verhältnis von 20:100 (dicker Querbalken), der Durchschnitt bei etwa 30:100. Im Referenzkorpus allerdings bei etwa 2:100. Das bedeutet: In Skandalzeiten wird viel floskelhafter geschrieben als sonst. Das mag an Folgendem liegen:
- Statements der Skandalisierten, O-Töne, werden stärker als sonst zitiert.
- Es gibt typische Sprachfloskeln der Skandalisierung.
- Die Skandalisierer schießen sich auf Sachverhalte ein, die immer und immer wieder vorgebracht werden.
Wulff konnte sich nicht im Amt halten; die Hoffnung, dass „dieses Stahlgewitter bald vorbei ist„, hat sich nicht erfüllt.