Die Skandale um Bundespräsident Christian Wulff sind ein wunderbares Untersuchungsobjekt für die Linguistik. Genauer: Die Berichterstattung darüber. Wie wird ein Skandal sprachlich konstruiert?
Um dies zu untersuchen habe ich ein kleines Korpus aller Artikel zu „Wulff“, die auf Bild.de und Sueddeutsche.de erschienen sind, zusammengestellt. Das Korpus umfasst gut 2 Mio. Wörter und verteilt sich wie folgt:
Wörter | Artikel | Wörter/Artikel | |
Bild.de | 907.176 | 2551 | 356 |
Sueddeutsche.de | 1.201.773 | 1519 | 791 |
Nicht weiter überraschend: Bild-Artikel sind im Schnitt etwa halb so lang wie Artikel der Süddeutschen Zeitung. Interessanter ist nun das Folgende: Ein Indikator dafür, ob etwas positiv, neutral oder negativ dargestellt wird, sind Adjektive. Deshalb habe ich in den Texten alle Adjektive extrahiert, die vor „Bundespräsident“ erscheinen. Dabei ist folgende Grafik entstanden:
Man sieht in der Grafik, wann von welcher Zeitung welche Adjektive verwendet wurden. Auf der gleichen horizontalen Linie erscheint immer das gleiche Adjektiv (darunter auch solche, die vom Tagger fälschlicherweise als Adjektiv klassifiziert wurden), wobei ersichtlich wird, zu welchen Zeitpunkten besonders viele Adjektive verwendet werden. Im Detail:
- Um die Zeitpunkte der Wahl des Bundespräsidenten (30. Juni 2010) und nach dem ersten Bild-Bericht über Wulffs Hauskredit (13. Dezember 2011) häufen sich die verwendeten Adjektive bei beiden Zeitungen.
- Zwischen diesen Zeitpunkten sind vor allem rot eingefärbte Adjektive zu erkennen, also solche, die in Bild-Berichten erschienen. Diese Zeitung berichtete kontinuierlicher über Wulff als die Süddeutsche.
- Die Art der verwendeten Adjektive ändert sich: Um die Wahl herum ist vor allem vom „neuen Bundespräsidenten“ die Rede, die Bild verwendet „jung“, „deutsch“, „jetzig“, „damalig“/“ehemalig“ (nicht auf Wulff bezogen) etc. bis zum Kredit-Artikel hin. Ab dann ändert sich das Bild und es sind viel mehr negativ konnotierte Adjektive sichtbar: „lausig“, „tolpatschig“, „gebeutelt“, „böse“ (Bild), „umstritten“, „schlecht“, „reumütig“, „bedrängt“ (Süddeutsche) etc.
- Die Anzahl der unterschiedlichen Adjektive ist seit dem Bild-Kreditbericht größer als noch bei der Wahl: Der Skandal bedeutet, dass weniger uniform über Wulff geschrieben wird; nach der Wahl scheint – zumindest gemessen an den Adjektiven – die Berichterstattung weniger emotional und etwas eintöniger gewesen zu sein. Jetzt ist sie emotionaler und adjektivfreudiger.