Sie liegen verlassen, vergessen, vereinsamt und nutzlos im Körbli, Wägeli oder beim Bancomaten. Sie dienten als Gedankenstütze oder mahnten, endlich das Verdrängte zu erledigen. Kommen sie aber in meine Hände, offenbaren sie die intime Welt der Gelüste unserer Mitmenschen. Ich glaube, ich habe ein neues Hobby gefunden: Sammeln von fremden Einkaufszetteln!
Kürzlich erbarmte ich mich diesem hier:
Vielversprechend und rhythmisch-poetisch beginnt er mit „Windel, Erdbeere…“, doch wir stocken bereits: „Fertigpizza“! Die wild-romantische Assoziation zu Streifzügen im Beerenwald, die Erinnerung an die Zeit der Jäger und Sammler, wird hart durchbrochen durch die banale Fertigpizza, die jedoch gleichsam leitmotivisch den Fortgang bestimmt: „Milch, Quark…“ evoziert zwar als retardierendes Moment nochmals den archaischen Charakter der Grundnahrungsmittel. Das Finale zeigt aber unmissverständlich, wie überholt unsere vergangenen Schwärmereien sind: „Sandwich“.
Doch ich bin nicht Literaturwissenschaftler, sondern Linguist. Erstaunlich, wie die Verfasserin – ich schliesse aus dem Schriftbild daraus – den Plural ignoriert: EINE Windel, EINE Erdbeere plante sie zu kaufen. Oder erweist sie sich bloss als schreibfaul? Warum schreibt sie „Fertigpizza“ und nicht bloss „Pizza“? Es gibt im Supermarkt ja nur fertige Pizze! Ist diese junge (weil: Fertigpizza-Konsumentin) Mutter (weil „Windel“ und „Quark“/“Erdbeere“ fürs Kindermüsli) so fertig mit ihren Nerven, dass ihr das „Fertig-“ als Hoffnung an eine Zeitersparnis am Abend wichtig ist?
Doch vielleicht kauft gar nicht sie ein, vielleicht ist der Adressat also ihr FreundPartnerMann? Dann wäre „Fertigpizza“ im Singular vielleicht als leise Kritik an seinen Essgewohnheiten zu verstehen: „Ja, kauf‘ doch deine Scheiss-FERTIG-Pizza, wenn du die Küche schon meidest wie ich den Plural auf dem Einkaufszettel!“
Das hier wird der zweitletzte Sprechtakel-Eintrag sein. Doch dazu noch in diesem Jahr mehr. Denn zum Abschluss muss ich noch zwei Einkaufszettel los werden, die auf meiner Harddisk des Kommentars harren. Wir diskutierten kürzlich bereits die Intimitäten