Die Verluderung und Verhunzung der Sprache, die Flut der Anglizismen, das daraus resultierende „Schimpansendeutsch“ oder „Denglisch“ – und jetzt auch noch das: Der „Schul-Horror Balkan-Deutsch„. Der Untergang der Sprache wird alle Jahre wieder angekündigt. Und nachdem mit der letzten Abstimmung in der Schweiz das Thema „Migration“ (wie es die einen nennen) bzw. das „Ausländerproblem“ (wie es die anderen nennen) emotionalisiert wurde, betrieb der Blick letzte Woche Aufklärung mit dem grossen „Ausländerreport“. Und er klärte auch auf zum Thema Sprache:
Die Kids sprächen also heute im Balkan-Slang – und eben nicht nur jene vom Balkan, sondern auch die Schweizer, weil das Kult sei.
Für besorgte Lehrer und Eltern ist es jedoch der blanke Horror. Sie befürchten eine beschränkte Kommunikationsfähigkeit. Oder ganz einfach mangelnde Deutschkenntnisse.
Die Linguistik handelt das Phänomen unter dem Stichwort „ethnolektales Deutsch“ ab. Das Phänomen selber ist nicht neu: Die italienischen Einwanderer……wurden früher ebenfalls ethnolektal karrikiert: „Giovanni scho weisse wie schweisse“ etc. Und die Linguistik ist sich mehr oder weniger auch einig, dass Balkandeutsch keine Gefahr für „die Sprache“ ist, genau so wenig wie Anglizismen, Jugendsprachen etc. Denn natürlich pflegt man in der Sprachwissenschaft ein anderes Sprachbild, als es die Öffentlichkeit tut:
1. Sprache ist ein offenes System, das sich ständig verändert und ständig verändern muss.
2. Sprechen dient unterschiedlichen Zwecken in unterschiedlichen Situationen. Es gibt also nicht „die Sprache“, sondern ganz unterschiedliche sprachliche Mittel, die von den Sprecherinnen und Sprechern eingesetzt werden können. Fluchen ist nicht eine Fehlfunktion von Sprache, höchstens ein etwas wagemutiges Unterfangen, wenn es während des Heiratsantrags praktiziert wird.
3. Bedeutungen sind nicht fest an Wörter gekoppelt, sondern die Bedeutung ergibt sich immer wieder neu aus dem Sprechen heraus. Bedeutungswandel ist damit vorprogrammiert.
Interessant ist nun, dass Linguistik und Öffentlichkeit permanent aneinander vorbei reden. Denn diese Sicht von Sprache, wie oben skizziert, fällt auf keinen fruchtbaren Boden. Doch das ist nicht weiter verwunderlich, denn als Sprecher einer Sprache fordere ich von ihr ganz anderes:
1. Identität: Ich spreche so, also bin ich. Wenn ich das Gefühl habe, die Sprache verändert sich, finde ich das doch etwas unangenehm. Denn ich will so bleiben, wie ich bin.
2. Geborgenheit: Ich spreche so, wie die sprechen, zu denen ich gehören möchte. Das gibt mir das Gefühl des Dazugehörens. Und wenn die plötzlich anders sprechen?
3. Abgrenzung: Ich spreche ganz sicher nicht so, wie die Doofen. Deshalb muss ich auch immer betonen, wie doof die Doofen sprechen. Gleichzeitig habe ich Angst, dass meine Verbündeten auch plötzlich beginnen, doofe Vokabeln zu benutzen. Was dann?
Das Sprechen über Sprache läuft also je nach eigener Position in der Gesellschaft jeweils ganz anders ab. Jürgen Spitzmüller hat ein Buch dazu geschrieben, das genau das am Beispiel der Diskussion um Anglizismen beschreibt. Und er tut dies – nota bene als Linguist in einem Fachbuch – so, dass es auch Nicht-LinguistInnen verstehen. Wenn wir mehr darüber nachdenken würden, warum wir wie über Sprache sprechen, würden wir sowohl hüben wie drüben gewinnbringender sprechen, nicht nur über Sprache.
Spitzmüller, Jürgen: Metasprachdiskurse. Einstellungen zu Anglizismen und ihre wissenschaftliche Rezeption. Juni 2005. ISBN 3-11-018458-3
Dürscheid, Christa/Spitzmüller, Jürgen (Hrsg.): Zwischentöne. Zur Sprache der Jugend in der Deutschschweiz. 2006. ISBN 3-03823-226-2.
Leis, Sandra: «Tue mi nid produziere, Mann!». Der Bund, 19. November 2005, S. 15.
Balkan-Slang in der Jugendsprache, wenn Inländer wie Ausländer klingen. Berner Zeitung, 29. November 2000.
Ich hatte bereits darauf hingewiesen: Der Spiegel titelte in seiner 40. Ausgabe „Rettet dem Deutsch“ und „Deutsch for sale“. Kulturredaktor Mathias Schreiber behauptet, Deutsch verlottere, es werde „so schlampig gesprochen und geschrieben wie wohl nie zuv