WIE wir sprechen, nicht WAS wir sprechen!

Das Sprechtakel bat kürzlich um Ihre Mithilfe bei der Auflösung eines sprachlichen Rätsels. Linguistische Probleme sind natürlich weniger wichtig als Mord und Totschlag; Aktenzeichen XY ist definitiv erfolgreicher bei Zuschauerreaktionen.


(Bild: http://www.zuschauerreaktionen.de/)

Doch Herr Sprechtakel glaubt weiterhin an viele Passivleserinnen und Passivleser und fährt deshalb munter weiter (auf dass zumindest der Googlebot die Seiten lesen möge)!

Doch nun des Rätsels Auflösung…Unser Floskelwissen ist meistens präzise: „… Durchzug von … weitgehend trocken … vereinzelt …“ identifizieren wir sofort als Wetterbericht, obwohl von Sonne, Regen und Wetter nicht die Rede ist. Interessant ist aber sowas:

… verursachen hohe Kosten und bedrohen die heimische …
… fernab ihrer Ursprungsregion … ausbreiten …
… doch längst nicht alle … verhalten sich problematisch.
… aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken …
… zum Problem … jedoch … auf Kosten …
… kommt zum Schluss … jährlich Kosten von …

(Mehr davon eben hier!) Das ähnelt doch irgendwie dem:

… erreicht bald die Rekordmarke…
… einst kamen … um zu …
… macht inzwischen …
… von Jahr zu Jahr …
… oft wenig … und kaum …
… profitieren von …
… kaum mehr möglich …
… wächst von Tag zu Tag …
… in aller Deutlichkeit …
… die Hälfte der … sind …
… nützen … um … nachzugehen …
… nicht gewillt sind …
… nicht abschreckend genug …

(Wie im letzten Eintrag präsentiert.) Die Quelle der Floskeln sind aber thematisch unterschiedlich. Letzteres stammt, wie richtig vermutet aus einem SVP-Positionspapier: „Asyl- und Ausländerpolitik: Unsere Regeln gelten für alle“. Doch die erste Floskelsammlung stammt aus einem NZZ-Artikel vom 24. Juni 2006 (Seite 19, nicht frei im Web) mit dem Titel „Tierische Eroberer und pflanzliche Einwanderer: Invasive Organismen verursachen hohe Kosten und bedrohen die heimische Natur“. Ein Artikel zum Thema der „invasiven Neobiota“, also „Tiere und Pflanzen […], die sich fernab ihrer Ursprungsregion rasant ausbreiten“ – z.B. in der Schweiz.

Es gibt Floskeln, die klingen fern jeglichen Inhalts doch immer gleich. Man kann reden worüber man will, sie sind immer da. Bedeutet das, dass die Art, wie man über völlig unterschiedliche Themen redet, doch oft verblüffend ähnlich ist? Oder steuern die Floskeln unsere Sicht, die wir auf die Dinge haben?

Kommentare wie immer erwünscht – schade dass Googlebot nicht sprechen kann…

Für Hardcore-LinguistInnen und jene, die es werden wollen, sei folgende Fachliteratur zum Thema empfohlen:

Feilke, Helmuth: Common sense-Kompetenz. Überlegungen zu einer Theorie des ’sympathischen’ und ’natürlichen’ Meinens und Verstehens. Suhrkamp, 1994

Feilke, Helmuth: Sprache als soziale Gestalt. Ausdruck, Prägung und die Ordnung der sprachlichen Typik. Suhrkamp, 1996

Feilke, Helmuth: Kontext – Zeichen – Kompetenz. Wortverbindungen unter sprachtheoretischem Aspekt. In: Steyer, Kathrin (Hrsg.) ; Institut für Deutsche Sprache (Veranst.): Wortverbindungen – mehr oder weniger fest. Berlin, New York : De Gruyter, 2004 (Jahrbuch 2003)

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Eine Antwort zu WIE wir sprechen, nicht WAS wir sprechen!

  1. BH sagt:

    Aha, ich hatte tatsächlich Recht! (Und wirklich nicht vorher hier nachgelesen und geschummelt!)

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