Merkel und die Krisen

Bildschirmfoto 2013-08-27 um 23.45.30Es gehört zur klassischen Definition einer Krise, dass man gestärkt aus ihr heraus gelangen wird. Dies ist der Topos, den auch Angela Merkel bemüht: Wenn auch die Auswirkungen auch schlimm und die Aussichten noch nicht rosig sind, so bleibt doch der Trost, dass Europa letztlich von der Krise profitieren wird – so zumindest Merkel:

„Wir haben es geschafft, Deutschland stärker aus der Finanzmarktkrise hinauszuführen, als es in sie hineingegangen ist. […] Nun wollen wir, Europa stärker aus der Krise hinausführen.“

Das sind Floskeln, wie sie in der politischen Rhetorik üblich sind. Wir berechneten Formulierungsmuster, sog. komplexe n-Gramme (cf. Scharloth/Bubenhofer 2012), die typisch für die Rhetorik von Angela Merkel sind. Die Datengrundlage waren alle Redebeiträge von Angela Merkel im Bundestag der letzten Legislaturperiode (September 2009 bis Juni 2013 – PolMine-Korpus).

Der Topos „Die Krise macht uns stark“ zeigt sich in vielen Formulierungsmustern von Angela Merkel (fahren Sie über die Muster, um Anwendungsbeispiele zu sehen):

Doch natürlich ist der Ausweg aus der Krise kein Spaziergang. Der Topos der Auswegslosigkeit zeigt sich in mehreren sprachlichen Mustern, am prominentesten im Muster „es führt kein Weg daran vorbei“:

Natürlich ist die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht das einzige Problem der Regierung; mit „[es ist] wichtig, dass wir…“ oder „unversichtbar, dass wir“ wird bei verschiedenen Themen für den einzig richtigen Weg geworben. Eine Spezialität für Angela Merkel sind „[deshalb] sage ich:“-Sätze, die teilweise apodiktische Aussagen einleiten: „Deshalb sage ich: Scheitert der Euro, scheitert Europa.“

Merkel kennt einige Varianten solcher Einleitungen:

Um die Krise zu meistern, muss also etwas getan werden. Merkel demonstriert Aktivismus mit einer Reihe von Floskeln der Art „Deshalb haben wir…“, „Wir werden…“ etc.

Sehr viele Formulierungsmuster der Reden von Merkel im Bundestag drehen sich um die Finanz- und Wirtschaftskrise. Die folgende Übersicht zeigt weitere typische Muster für Merkel:

Formulierungsmuster können auch als Netz dargestellt werden. Im Folgenden berechnete ich ein sog. Begriffsnetz aller Reden von Angela Merkel im Bundestag in der letzten Legislaturperiode. Darin ist ersichtlich, welche Lexeme typischerweise zusammen auftreten.

Bildschirmfoto 2013-08-27 um 22.48.33

Begriffsnetz Bundestags-Reden Angela Merkel (17. Legislaturperiode 2009-2013); PDF-Darstellung

Die farbliche Markierung grenzt Cluster von Knoten untereinander ab, die besonders stark miteinander vernetzt sind (Louvain-Methode). Die Cluster bilden wichtige Themen der letzten Legislaturperiode ab, z.B. Afghanistan:

Bildschirmfoto 2013-08-27 um 22.56.02

Andere wichtige Themen sind das Erdbeben und der Tsunami in Japan/Fukushima, das Hochwasser im Juni 2013 und die Wirtschaftskrise, die gleich in mehreren Clustern (und somit mit unterschiedlichen Schwerpunkten) auftaucht. Die folgende Grafik zeigt christlich-liberal als Basis für eine ganze Reihe von Lexemen zum Thema der Wirtschaftskrise:

Bildschirmfoto 2013-08-27 um 23.00.56

Merkel versuchte also die christlich-liberale Politik ihrer Koalition zu konturieren. Gerade weil letztlich die Positionen der SPD und der Grünen bezüglich der Gewährung von Notkrediten ähnlich wie diejenige der Regierung war, versuchen sich die Parteien mit solchen Labeln voneinander abzuheben.

Ein weiterer Aspekt Merkel’scher Krisenpolitik zeigt sich im folgenden Cluster:

Bildschirmfoto 2013-08-27 um 23.02.24

In Adjektiven wie notwendig, unverzichtbar, dauerhaft, wesentlich, unmissverständlich spiegelt sich die Rhetorik von Merkel zwischen den Topoi der Ausweglosigkeit und der Wahrung deutscher Interessen.

Die Jahrhundertflut 2013 hinterlässt auch Spuren im Begriffsnetz von Angela Merkel: Von vernichten, Hochwasserkatastrophe, Sandsäcken und anpacken ist die Rede, bevor es jetzt an den Wiederaufbau geht, der mit Soforthilfen und Fonds unbürokratisch unterstützt werden soll.

Bildschirmfoto 2013-08-27 um 23.17.10

 

Die verwendeten Hochwasser-Lexeme gehen jedoch ähnliche Wortverbindungen ein wie eine ganz andere, ungleich dramatischere Katastrophe: Der Bürgerkrieg in Syrien, bei dem Merkel ebenso wie beim Hochwasser die Not erwähnt, die gelindert werden soll, sowie den Wiederaufbau.

Angela Merkels Gegenkandidat, Peer Steinbrück, setzte in der letzten Legislatur andere Akzente:

Bildschirmfoto 2013-08-27 um 23.25.14

Begriffsnetz Bundestags-Reden Peer Steinbrück (17. Legislaturperiode 2009-2013); PDF-Darstellung

An dieser Stelle soll bei Steinbrück noch nicht ins Detail gegangen werden, doch eines der Schlüsselthemen von Steinbrück in der letzten Legislaturperiode sei kurz skizziert:

Bildschirmfoto 2013-08-27 um 23.24.54

 

Der Steuerbetrug und das umstrittene Steuerabkommen mit der Schweiz sind ein zentrales Thema bei Steinbrück. Und dabei tauchen hier auch ganz andere Lexeme in Verbindung mit diesem Thema auf: Gerechtigkeit, Werte, Ehrlichkeit, Wertefundament und sogar die Parallelgesellschaft.

Fazit

Ein direkter und undiplomatischer Politstil, so hofft wahrscheinlich Steinbrücks Wahlkampfteam, soll das Image des Herausforderers charakterisieren. Ein erster Blick auf das Begriffsnetz von Steinbrücks Reden deutet darauf hin, dass er dieses Image auch unter der Bundestagskuppel pflegt – nicht nur im Wahlkampf. Ganz anders dagegen Angela Merkel, bei der die Finanz- und Wirtschaftskrise im Zentrum steht, darüber jedoch eher inhaltsleer spricht, dafür die typischen Krisen-Topoi bemüht: Es gibt keinen Ausweg, aber wir werden gestärkt aus der Krise hinaus kommen.

Dieser Beitrag wurde unter Korpuslinguistik, Sprechtakel, Visual Linguistics abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.