Die weite Welt ist oft Thema unter der Glaskuppel des Bundestags: Die Parteien versuchen sich auch in außenpolitischen Themen voneinander zu differenzieren. Mit der Berechnung von Geocollocations kann analysiert werden, wie die Parlamentarierinnen und Parlamentarier über Orte, Regionen und Länder dieser Erde sprechen.
Die folgenden Analysen basieren auf den Protokollen des Bundestags der 17. Wahlperiode, also der Zeit von 2009 bis 2013 (Korpus: Andreas Blättes PolMine). Ein Blick in die vergangene Legislatur sagt mitunter mehr darüber aus, was nach der Wahl zu erwarten ist, als die Wahlprogramme und Wahlreden.
Ich berechnete pro Partei, welche Wörter überzufällig häufig zusammen mit den jeweiligen Orten, Regionen oder Ländern verwendet werden und visualisierte die Ergebnisse auf Karten. Unter bubenhofer.com/geocollocations/Bundestag/ können die Karten im Detail eingesehen werden. Die technischen Details sind hier beschrieben.
Russland: Wirtschaft oder Demokratie?
Auffallend ist zunächst, dass die Parteien ihre außenpolitischen Positionen unterschiedlich akzentuieren. Es gibt natürlich Hotspots, die bei allen Parteien Thema sind: Deutschland, die meisten europäischen Länder, Russland, USA, China, Afghanistan, Indien etc. Doch erwähnen CDU/CSU beispielsweise Russland häufiger als alle anderen Parteien.
CDU/CSU erwähnen zusammen mit Russland Lexeme wie politisch, wirtschaftlich, Interesse, Million, modern, Modernisierung, die alle für das ökonomische Interesse der amtierenden Regierung stehen. Die mit Russland angestrebte Modernisierungspartnerschaft geht allerdings auf den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) 2008 zurück, ist aber auch von der aktuellen Regierung verfolgt. Die anderen Parteien erwähnen ebenfalls Lexeme, die das wirtschaftliche Interesse an Russland widerspiegeln, die Grünen sind aber die einzige Partei, die häufig auch Demokratie mit ins Spiel bringen, die Linke erwähnt als einzige Rechtsstaatlichkeit auffällig häufig. Bei allen Parteien spielen die Bemühungen um ein Abbau von Russlands Atomwaffenarsenal eine Rolle.
Afghanistan: Verantwortungsvolles Engagement oder sofort raus?
Ein anderer Hotspot bundesdeutscher Außenpolitik ist Afghanistan:
Die CDU/CSU-Regierungsmitglieder und die Parlamentarier/innen berichten über die Lage des Einsatzes, die Entwicklung und betonen Verantwortung, Engagement und die Abgabe der Verantwortung an die afghanischen Streitkräfte und den Abzug der Bundeswehr.
Die SPD redet ganz ähnlich über Afghanistan, einzig Korruption ist ein auffälliges Lexem in den Reden ihrer Abgeordneten.
Anders die Linke, die von Kriegseinsatz und Krieg spricht, sowie vom sofortigen Abzug, und die humanitäre Lage erwähnt. Auffällig auch, dass bei der Linken zusätzlich Pakistan im Zusammenhang mit Kampfdrohnen und Krieg erwähnt wird.
Auch die Grünen reden wie die Linke bei Afghanistan von Krieg. Ansonsten ähneln sich die Lexeme allerdings derjenigen von CDU/CSU und SPD.
Die Euro-Krise: Ein lokales Problem?
Die Karten ermöglichen neben solchen Detailanalysen aber auch eine andere Art von Analysen: In den Karten sind bestimmte Schlüsselwörter, die signifikant häufig zusammen mit Ortsbezeichnungen auftreten, mit farbigen Linien miteinander verbunden. Damit wird erkennbar, ob es sich bei diesen Kollokatoren um Lexeme handelt, die weltweit im Zusammenhang mit verschiedenen Orten eine Rolle spielen, oder die auf eine bestimmte Region begrenzt sind.
Der Euro ist im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise ein wichtiges Schlüsselwort. Interessant ist, dass in allen Parteien der Euro hauptsächlich mit den EU-Krisenländern Spanien, Italien und Griechenland in Verbindung gebracht wird, außer bei der SPD und der FDP. Die SPD erwähnt praktisch nur Deutschland und deutsche Regionen im Zusammenhang mit der Währung (rosa Linien):
Und die FDP erwähnt den Euro im Zusammenhang mit Italien, Zypern, Iran (Rüstungsexporte) und Tunesien (rosa Linie):
Die Währung scheint für die FDP nur im Zusammenhang mit den Krisenländern Italien und Zypern von Bedeutung zu sein (wobei immerhin im Fall von Griechenland von der Euro-Zone die Rede ist). Und für die SPD hängen Krise und Euro zumindest explizit nicht zusammen.
Globale und lokale Kollokatoren
Die Länge der imaginierten Linien eines Kollokators über die Punkte der Welt, an denen er erwähnt wird, lässt sich berechnen. So ist es möglich, globale von lokalen Kollokatoren zu unterscheiden: Also Wörter, die im Zusammenhang mit ganz unterschiedlichen Orten weit verstreut über die Welt erscheinen und Wörter, die nur in bestimmten Regionen als Attribute für diese Regionen verwendet werden.
Land, Staat, Beispiel, Situation, Welt, Prozent, international, Mensch, politisch, Regierung, Entwicklung, Beziehung, wirtschaftlich, Partner, Konflikt und Lage sind beispielsweise bei der CDU/CSU häufige globale Kollokatoren. An Partner lassen sich beispielsweise gut die „Freunde“ Deutschlands ablesen: USA, Russland, Afrika, Polen; wobei die Beziehung zu diesen Freunden wohl deshalb betont wird, weil sie nicht immer einfach ist. An Situation hingegen sind die Brennpunkte der internationalen Politik sichtbar: Mali, Bosnien-Herzegowina, Libyen, Nordafrika, Ungarn, Griechenland, Sudan, Syrien, Somalia, Iran, Afghanistan, Indien, Ski-Lanka, Japan, Irland.
Bei der SPD sind (neben den auch von der CDU/CSU verwendeten Wörtern) Lexeme wie Katastrophe und Flüchtling auffällig unter den globalen Kollokatoren. Die SPD scheint also ein düsteres Bild der Welt zu zeichnen.
Fazit
Diese erste Analyse ist eine erste Annäherung an die Daten – es gilt noch weitere Beobachtungen zu machen. Unter bubenhofer.com/geocollocations/Bundestag/ können Sie selber analysieren und uns Ihre Beobachtungen mitteilen. Als erstes Fazit kann jedoch festgehalten werden, dass in der vergangenen Legislatur SPD und CDU/CSU in der Außenpolitik keine großen Differenzen aufwiesen – gerade auch im Umgang mit Russland sind alle Parteien sehr vorsichtig mit Kritik. Nur die Grünen und die Linke ist diesbezüglich ein klein wenig forscher. In Sachen Afghanistan liegt der Graben ebenfalls zwischen SPD-CDU/CSU-FDP und der Linken und den Grünen. Die SPD zeigt auch außenpolitisch nach den bisherigen Analysen kein eigenständiges Profil.
„Ein Blick in die vergangene Legislatur sagt mitunter mehr darüber aus, was nach der Wahl zu erwarten ist, als die Wahlprogramme und Wahlreden.“
Wobei natürlich zu beachten ist, wer Regierung und wer Opposition ist. Da Regierungsparteien häufiger die „staatstragende“ (das heißt wohl beschwichtigende) Position vertreten und Anfragen beantworten müssen, die Opposition hingegen Krisen und Skandale systematisch ausnutzen wird, gibt es vielleicht „strukturelle Dispositionen“ der Parteien, gewisse Wörter häufiger zu verwenden. Es wäre sehr interessant zu analysieren, ob sich die Wortwahl durch Wechsel von Regierung in Opposition (und vice versa) rasch ändert.
In der Tat: Die Oppositions- und Regierungsrollen führen je zu eigenen sprachlichen Mustern. Wir hatten beim 2009er-Wahlkampf bereits einmal Hinweise in diese Richtung gefunden: http://www.semtracks.org/web/politicaltracker/bundestagswahl/?p=957
Aber eine systematischere Analyse in diese Richtung muss noch geleistet werden.