Der alte Knacker und die junge Tussi

Wenn der NZZ ein Thema zu unwichtig scheint, zu unernst, zu unseriös, dann verbannt sie es manchmal nicht gänzlich aus dem Blatt, sondern weist es in die Schranken der Rubrik „Nebenbei notiert“ oder „Aufgefallen“. So fühlte sich brh bemüssigt (NZZ vom 11. August, S. 51, kostenpflichtig) eine Antwort in globo auf die „in schöner Regelmässigkeit“ hereinflatternden Leserbriefe zu geben, die alle auf eine Kurzmeldung

„Mehr Betten für Alte in Wetzikon“

vom 7. August Bezug nehmen.

Anscheinend fühlten sich eine grössere Zahl von älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger durch das „Alte“ in diesem Titel beleidigt. Man möge sie „Seniorinnen“ und „Senioren“ nennen, nicht „Alte“. Das lässt die NZZ natürlich nicht auf sich sitzen und schreitet zum Gegenschlag:

Die Frage stellt sich nun: Was ist denn, inhaltlich gedacht, der Unterschied zwischen Senioren und Alten?

Da sträuben sich mir natürlich die Nackenhaare: „Inhaltlich gedacht“! Wenn Sprache so einfach wäre. Was, bitteschön, ist denn „inhaltlich gedacht“ der Unterschied zwischen „Polizist“ und „Bulle“? Zwischen „Moneten“ und „Geld“? Zwischen „Tussi“ und „junge Frau“? Eigentlich gibt’s da ja auch keinen Unterschied, oder? Probieren Sie das mal aus, wenn sie das nächste Mal mit Ihrer Bank telefonieren: „Guten Tag. Ich hätte gerne eine Auskunft zu meinem Konto: Die Tussi am Bankschalter sagte mir kürzlich, ich könne meine Moneten besser anlegen, als ich es momentan mache. Was schlagen Sie mir vor?“. Wenn Sie das häufig machen, holen Sie mal noch die Bullen wegen Ehrverletzung!

Die Bedeutung der Wörter – um Wittgenstein zu zitieren – liegt in ihrem Gebrauch. Vielleicht kommen einmal Zeiten, in denen „Tussi“ ohne negative Konnotationen im Sinne von „junge Frau“ verwendet werden kann. Das sind normale Prozesse des Sprachwandels. Die Bedeutung der Wörter ist nicht ein für alle mal fest – und selten logisch. Doch auch davon geht der Artikel aus:

Und wenn das Wort alt verpönt sein sollte, muss dann konsequenterweise auch jung aus dem Vokabular gestrichen werden? Weil jung möglicherweise ebenfalls für „Liebloses“, „Unanständiges“ stehen könnte (faul, frech, konsumsüchtig, laut usw.)?

Tja, so einfach ist es nicht: In den meisten Kontexten ist „jung“ eher positiv konnotiert, „alt“ eher negativ („Der ist halt schon alt…“ vs. „Eine junge, sympathische Frau!“). Doch nicht immer: „Diese Party ist wirklich scheisse; all dieses junge Volk…“

Aber die NZZ gibt sich unbeirrt:

Alt ist unbestrittenermassen das Gegenteil von jung, es gibt Alte und Junge, Junge werden alt, die Alten waren früher einmal jung. So ist der Lauf des menschlichen Lebens. Soll man künftig nur noch von Junioren schreiben dürfen, die eine Lehrstelle suchen?

Nein, „alt“ ist nicht unbestrittenermassen das Gegenteil von „jung“! Manchmal schon, aber nicht immer: junger Anfänger/erfahrener Arbeiter, alter Käse/frischer Käse. Und wenn, dann nur bezüglich des Gemeinten (des Denotats), nicht aber bezüglich der Konnotation: „Die Jungen sind unsere Hoffnung!“ vs. „Die Alten sollen jetzt endlich abtreten!“.

Der Sprachgebrauch richtet sich selten nach den Wörterbüchern und unseren logischen Ableitungen davon. Und so konnte die NZZ vielleicht früher durchaus von den „Alten“ schreiben – heute ist das offensichtlich problematisch. Doch die NZZ, diese alte Tante, ist halt auch nicht immer auf der Höhe der Zeit!

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4 Antworten zu Der alte Knacker und die junge Tussi

  1. Dieses Weblog heißt 50plus-aktuell. Doch beschäftige ich mich vielfach mit dem Thema Senioren oder SeniorInnen, wie ich es lieber schreibe. Aber wie sieht es mit "Alten", "Geronten", "Silver Surfern", "Best Agers"

  2. monarch sagt:

    Bei aller Stringenz ihro Argumentation fällt mir doch auf, dass «Senioren» in der Schweiz zu einer echten P.C.-Vokabel geworden ist. In die «Seniorenresidenz» verirren sich wohl auch nicht mehr «Junioren» als «Kinder» ins «Altersheim». Aber es tönt halt schöner …

    Zudem behauptet eine fachkundige Quelle hartnäckig, man solle weder von «Alten» noch von «Senioren» sprechen, sondern von «alten Menschen». Ihre linguistische Meinung dazu?

  3. BH sagt:

    Kommt es nicht vor allem auf den Kontext an, wie „Junge“ oder „Alte“ beim Leser oder Zuhörer ankommen? Ich meine, „hören Sie mal, junger Mann“ fasse ich auch nicht als Kompliment auf (trotz ersten grauen Haaren an den Schläfen denke ich, dass es dafür noch ca. 10 gefühlte Altersjahre mehr braucht).

    Und wenn ich mich nicht täusche, wird in unserem nördlichen Nachbarland das Wort „Alte“ weit unverkrampfter verwendet. Ist in Deutschland etwa das Wort „Altenheim“ (als Pendant zu unserem früheren „Altersheim“ und heutiger „Seniorenresidenz“) nicht gang und gäbe?

    Ich habe zum Teil etwas Mühe mit diesem Willen zur politisch korrekten Sprache. Sie steht bei mir im Verdacht, oft die Abgründe hinter dem Gesprochenen bzw. Geschriebenen nur kaschieren zu wollen. Und da ist mir „gerade heraus“ allemal lieber – so weiss man zumindest, woran man ist.

  4. Sprechtakel sagt:

    Das Sprechtakel ist zu Ende. Vor einem Jahr definierten wir Sprechtakel:Reden wir darüber, was wir wie sagen, wird das Gerede zum Sprechtakel.Und in 74 Artikeln gingen wir diesen Sprechtakeln im 2006 auf den Grund. Doch mit dem heutigen Eintrag ist damit

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